Konsum ist Religion

Dieses Wochenende haben wir uns in einem außergewöhnlichen Tempel umgeschaut. Das Gotteshaus in Frankfurt heißt MyZeil und ist eine moderne Kathedrale des Konsums, entworfen von Massimiliano Fuksas. Der Prachtbau spiegelt konsequent alle wichtigen Elemente der verbreiteten Glaubensrichtung Konsum wider: Viel Glas, um das Dogma „sehen und gesehen werden“ erlebbar zu machen, und kilometerlange Rolltreppen, die in alle Himmelsrichtungen führen, um die Mobilität und Dynamik der Glaubensjünger zu unterstützen. So gelangt man mühelos zu den Gebetsräumen der Weltmarken, die sich über fünf Etagen den Heilsuchenden anbieten.

Der Glaubenssatz „Dein Automobil sei Dein teuerster Fetisch“ wurde brilliant in den Einkaufsgottesdienst integriert, indem man in MyZeil nicht einfach in einer Tiefgarage parkiert. Hier positioniert man sein Markengefährt in der „World of Parking“ und drückt seine emotionale Verbundenheit mit den Brüdern und Schwestern in den anderen Glaubenshochburgen der Welt aus, indem man sein Parkdeck bewußt aus „Amsterdam“, „Budapest“, „Cairo“ und „Dubai“ wählt.

Erschrocken waren wir, als wir feststellen mußten, dass es an etlichen Stellen in die heiligen Hallen hineinregnete. Vor solchen Sorgen und Leiden dieser Religionsgemeinschaft darf die Gesellschaft nicht die Augen verschließen und sie muß die Politik zum Handeln auffordern. Schutzatmosphären für Konsumgläubige müssen konsequent weiterentwickelt und so eine ungetrübte Ausübung der religösen Riten und Bräuche sichergestellt werden.

Desweiteren benötigen wir, analog zu Gebetsräumen für Muslime an Schulen, Einkaufspassagen auf den Schulhöfen. Wenn dies nicht zügig zu realisieren ist, dann könnten wir auch den Schulbetrieb in die Konsumkirche verlegen; viele Schüler verbringen ihre Schulzeit bereits heute aus tiefer religiöser Überzeugung dort. Es gibt vielversprechende, weltweite Pilotprojekte bei traditionellen Glaubensgemeinschaften in Sachen Integration der Schule in die Gotteshäuser, auf deren Erfahrungen wir aufbauen können.

Schließen wollen wir die heutige Andacht mit den Worten des Propheten Ben Sherman von 1963: „Looking good isn’t important. It’s everything.“ Amen.

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Eine Antwort zu “Konsum ist Religion”

  1. Konsum kann sehr befriedigend sein, wenn man einen Stil als Orientierung für eine geordnete Lust hat. Konsum von Inneneinrichtung, Konsum von Unterhaltung, Konsum von individuellen Kulturprodukten, Konsum von praktischer Massenware.
    Konsum braucht der Mensch. Aber sinnstiftend ist Konsum auf Dauer glaube ich nicht. Die Frage ist dann auch noch: Wie viel Sinn braucht der Mensch? Das dürfte wiederum auch wieder individuell variieren.

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