Eine Mitmachaktion, der ich mich einfach nicht entziehen kann. Auf www.spontis.de ist unter dem Titel „Gothic Friday“ eine Initative für Blogger aus der Gothic-Szene gestartet worden, die fast schon einen ethnographischen Sonderforschungsbereich rechtfertigen würde (dann würde sie allerdings nur halb so viel Spaß machen). Außerdem ist heute blöderweise erst Dienstag (ja, ich weiß, veröffentlicht erst am Donnerstag), dabei wäre meinem Empfinden nach bereits Freitag durchaus angemessen. Ich tue dann also mal so als ob.
Die Einstiegsfrage in dieses Projekt ist die nach dem Einstieg in die Szene, oder als Frage formuliert:
Wie bist Du in die Gothic-Szene gekommen?
Da ich ja fast schon rentenberechtigt bin, erlaube ich mir einen Blick in die Weiten meines bereits gelebten Lebens und schaue mal nach, wann es denn losging mit dem „Schwarzsein“.
Alles begann, als meine ältere Schwester die Depeche Mode LP „Black Celebration“ mit nach Hause brachte. Das war 1986 und mein Leben spielte sich überwiegend in der Schule, der Kirche und im Wald ab. Musik stand bis dahin nicht im Mittelpunkt meines Interesses. Aber diese Scheibe hat etwas gestartet, was bis heute anhält: die Begeisterung für dunkle Klänge und das damit verbundene Lebensgefühl.
Die konservativ-christliche Erziehung, die für mich ausgesucht wurde, unterband allerdings eine umfassende Exploration der entsprechenden Genre und ich suchte mir für meine kritischen Erzeuger und die kirchliche peer-group hinnehmbare Nischen. Hier rettete mir u.a. Saviour Maschine meine frühe Jugend. Dann begann ich Skateboard zu fahren und versuchte natürlich auch, entsprechend auszusehen. Meine musikalische Vorliebe für DM, The Cure, Silke Bischoff, Wolfsheim und Co ließen mich in dieser anders gelagerten Szene aber nie richtig ankommen, dabei macht die Art der Fortbewegung auf vier Plastikrollen einen Heidenspaß. Aus dieser Zeit habe ich lediglich die guten alten Airwalks als angemessenen und gothic-tauglichen Turnschuh herübergerettet.
Als ich Mitte der 90er für meinen Zivildienst mein Elternhaus und mein soziales Umfeld hinter mir ließ, begann die experimentierfreudigste Phase meiner Musikleidenschaft. Kaum ein Metalabend war in der Dorfdisko „Jump“ vor mir sicher, regelmäßig zog es mich in die Nachtschicht nach Göppingen zur Industrial-Night, nach Stuttgart ins Müsli, den Bär oder ins Universum oder wie die Schuppen alle hießen. Mit meiner damaligen Freundin erweiterten wir zeitweise den Radius bis nach Landau, um im Mesh die Mähne zu schütteln (die ich damals noch hatte). Ich erklärte ihr die Genialität von Philip Boa and the Voodooclub und sie machte mich mit Goethes Erben/Erblast, Lacrimosa und Anne Clark vertraut.
Ich oszilierte in der Wahl meiner Kleidung noch zwischen Öko und Grunge, der Anteil schwarzer Klamotten nahm jedoch sprunghaft zu und wurde nach und nach zur einzigen Farbe in meinem Kleiderschrank.
Das Studium erleichterte die Metamorphose zum 24/7-Schwarzen mit Anspruch an schlichten Schick, scheint die Dichte der Szenegänger und der inspirierenden Modelle in meinen Fachrichtungen nicht gerade gering zu sein. Der Freundeskreis hatte sich nach und nach geändert, und es fanden sich immer mehr freundliche Wesen, die einen dunkel-ästhetischen Anspruch an die wichtigen Lebensbereiche stellten.
Was ich lange unterschätzt hatte, war die glücklich machende Wirkung von Festivals. Diese Häufung von „normalen Menschen“, wie sie jedes Jahr zum Wave Gotik Treffen nach Leipzig kommen, genieße ich erst seit 2006. Seitdem ist Pfingsten aber reserviert für diese Tage, an denen ich meinen inneren schwarzen Akku auflade, um den plastikbunten Alltag ertragen zu können. Eine zusätzliche Auffrischung gönne ich mir im Sommer stets auf dem Amphi-Festival in Köln.
Die Diskobesuche sind im letzten Jahr wieder seltener geworden. Hier mal Schwarzes Schwimmbad oder Endzeitwelten, da mal Schwarzes Karlsruhe oder Superschwarzes Mannheim. Mir ist es umso wichtiger, was mir unter der Woche an meine Ohren kommt. Radio ertrage ich kaum noch, dafür pflege ich meine Playlists zu allen Lebenslagen intensiv.
Früher konnte ich nie beantworten, woran man denn merkt, dass man ein Gothic sei. Die Farbe Schwarz und die „typischen“ Musikvorlieben greifen mir zu kurz. Gothic ist für mich nur zu einem Teil Szeneleben. Vielmehr ist es ein ästhetisches Empfinden, ein Lebensstil. Egal ob bei der Wahl des Automobils, der Wohnungseinrichtung, der Literatur oder des Bildschirmschoners. Gothic hat sich überall breit gemacht in meinem Leben, und ich kann das immer noch sehr gut leiden. Meine Lieblingsfrage lautet: „Gibt’s das auch in schwarz?“.