Wenn jemand eine Reise tut,
So kann er viel erzählen.
D’rum nahm ich meinen Stock und Hut
Und tät das Reisen wählen.
(Urians Reise um die Welt, Matthias Claudius, 1740-1815)
Seit Juli verbringe ich regelmäßig einen Teil meiner Wachzeit in Darmstadt, einem Vorort der Finanzmetropole Frankfurt. Ich bin dem Volk der Bahn-Pendler beigetreten und sammele hier ganz neue Erfahrungen.
Ganz besonders freue ich mich über das Mitmachprogramm der Deutschen Bahn. Begeistert bin ich vom Banker-Pogo!
Das geht so:
Du brauchst eine IC/EC-Strecke von irgendwo nach Frankfurt. Am frühen Morgen oder späten Nachmittag wählts Du eine Zugverbindung aus. Die auf dem Bahnsteig wartenden Banker sind ob ihrer einheitlichen Kleidung und den teuren Aktentaschen leicht als Deine Tanzpartner auszumachen. Wer zu diesem sozialen Milieu gehört, prahlt zudem gerne mit seiner „Black-Mamba“ – der BahnCard 100, 1. Klasse.
Die Anzeigetafel am Bahnsteig weist eine Wagenstandsanzeige auf. Lange wurde vermutet, das Ziel dieser Anzeige sei es, dass sich unser gepflegter Bankmensch und Tanzpartner nicht unter das gemeine Volk mischen muss und sich in seinem Biotop (in unserem Beispiel in den Abschnitten D & E) wartend zurechtfinden kann. Nach 2 Monaten Bahn-Pendelns kann ich bestätigen, dass es sich hier um eine gezielte Aufstellung zur Vorbereitung einer Tanzveranstaltung handelt.
Damit es jetzt zu einem gepflegten Pogo-Tanz mit Bankern kommen kann, kennt die Bahn zwei Varianten: die „offene“ und die „geschlossene“ Ausgangsstellung.
Bei der „offenen“ Ausgangstellung wird Sekunden vor dem Eintreffen des Zuges über den Lautsprecher mitgeteilt, dass „die Wagen der 1. Klasse heute abweichend in den Abschnitten A und B“ zu finden seien. Die Tänzer sind somit aufgefordert, ihr Biotop zu verlassen und die Position ans andere Ende des Bahnsteigs zu verlegen. Ohne direkte Ansprache erkennt das gemeine Volk dies als Aufforderung zum Tanz mit den Bankern und strömt den Tanzpartnern zielstrebig entgegen. Das Pogen ist unvermeidlich und zieht auch den letzten Tanzmuffel in seinen Bann.
Die „geschlossene“ Variante verzichtet gänzlich auf eine Ansage und lässt den Zug einfach so in umgekehrter Wagenreihenfolge in den Bahnhof einfahren. Hier verlagert sich der Tanz weitestgehend auf die Gänge in den Waggons und es wird noch lange und bei voller Fahrt auf dem Weg in die Finanzmetropole Deutschlands getanzt, als ob es kein Morgen gäbe.
Schlangestehen für die „geschlossene“ Variante:
Ich empfehle als individuelle Tanzmusik (via gut gedämmter Kopfhörer) dazu einen Klassiker der 80er Jahre: