Archiv für Darmstadt

Unwort des Jahres 2012

Posted in allgemein with tags , , , , , , , , , , on 15. Januar 2013 by tobikult

IMG_6992An der TU Darmstadt wurde vor wenigen Minuten das Unwort des Jahres 2012 verkündet. Freundlicherweise direkt neben meiner geliebten Kaffee-Bar, bei der ich ein Abo auf einen täglichen Latte Macchiato habe. So war ich live und in Farbe dabei, als Frau Prof. Nina Janich vor den Pressevertretern das Ergebnis der Jury bekannt gab.

„Opfer-Abo“ ist es geworden.

Da hat bei mir erst mal gar nichts geklingelt und so war ich neugierig auf die Begründung der Jury. Die hat das Wort angeblich von Jörg Kachelmann mehrfach gehört, der damit behauptete, dass Frauen, durch gezielte Falschaussagen, Männer hinter Gitter führen könnten. Die Jury findet, das Wort „Opfer-Abo“stelle „in diesem Zusammenhang Frauen pauschal und in inakzeptabler Weise unter den Verdacht, sexuelle Gewalt zu erfinden und somit selbst Täterinnen zu sein.“ (Pressemitteilung der Jury „Sprachkritische Aktion – Unwort des Jahres“ vom 15.01.2013).

Ich finde, was Herr Kachelmann so von sich gibt, bekommt unnötig viel Gewicht durch diese Entscheidung. Hat dem denn überhaupt noch jemand Glauben geschenkt??? Irgendwie scheint meine Wahrnehmung, mangels Fernseher, bei solchen Persönlichkeiten etwas verzerrt.

Die anderen beiden Unwörter „Pleite-Griechen“ und „Lebensleistungsrente“ finde ich viel relevanter. Sie drohen, in den alltäglichen Sprachgebrauch vieler Menschen Einzug zu halten, ohne dass eine kritische Überprüfung der Begriffe erfolgt.

opfer-abo

Hier die Pressemitteilung der Jury als PDF mit den ausführlichen Erläuterungen.

Nachtrag: In Kooperation mit der Börse Düsseldorf wurde auch das Börsen-Unwort 2012 mitgeteilt: „freiwilliger Schuldenschnitt“. Ich finde es nur konsequent, dass die Börsianer ein eigenes Unwort bekommen. Wer sich so weit von der Gesellschaft entfernt, sollte sich noch nicht einmal mit den Unwörtern des gemeinen Volkes verbunden zeigen. Das verwässert nur den mühsam aufgebauten Ruf!

Ich vermisse John Cage!

Posted in allgemein with tags , , , , , , , , , , on 1. Oktober 2012 by tobikult

Es ist doch immer das Gleiche! Wir vermissen erst dann etwas, wenn es von einem Tag auf den anderen nicht mehr da ist. Egal ob wir unsere Aufmerksamkeit schon einmal darauf gelenkt haben, oder nicht. So geht es bestimmt vielen Menschen mit den Installationen in Gedenken an John Cage am Hauptbahnhof Darmstadt. Cage wäre dieses Jahr 100 Jahre alt geworden. In und um den Bahnhof herum wurden Zitate, Kunstwerke und Klanginstallationen angebracht und haben sein Erscheinungsbild geprägt. Das alles hat so gut zum Ort gepasst, es hätte für immer dort bleiben können.

Besonders gefreut hatte ich mich auf die offizielle Eröffnung dieses Gesamtkunstwerks. Hier wollte Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten seine Zuneigung zu John Cage durch eine Lesung zum Ausdruck bringen. Leider ist Blixa Bargeld nicht Gott und konnte krankheitsbedingt nicht performen. Die tägliche Freude über die Installationen hielt aber einen Sommer lang an.

Nun ist der Herbst da, alles was an John Cage in Darmstadt erinnert wurde abgebaut und Kunst ist wieder zur Mangelware auf meinem Weg zur Arbeit geworden.

Einige Impressionen konnte ich vor der Demontage, dank üppiger Verspätung meines Zuges, mit dem mobile Device einsammeln.

Mein Lieblingszitat (gefunden an einer Bushaltestelle), das dem Erfinder des Happenings zugeschrieben wird, lautet:

(Davon sollte ich mir glatt einen Button basteln 🙂 )

Gleich neben dem Bahnhof wurde ein Mitmach-Café eingerichtet, dass unter dem Namen „Cage & Cola“ den Happening-Charakter gut zur Geltung brachte.

Dass der Musikphilosoph John Milton Cage Jr. eine starke Selbstwirksamkeitserwartung hatte, steht außer Frage, aber seinen Locus of Control setzte er offensichtlich produktiver als andere ein, und inspirierte damit seine Zeitgenossen und nachfolgende Generationen. Dabei kamen auch so lustige Maschinen heraus wie die „SG-2000“ von Simon Mellnich und David Janzen, die im Inneren des Bahnhofs ausgestellt wurde.

Für alle Reisenden, die sich von Cage und den aktuellen Installationen inspiriert sahen, stand eine Bühne zur Verfügung und lockte so zu eigenen künstlerischen Wagnissen.

Als Büromensch nutze ich gerne jede Gelegenheit mich zu bewegen und so meide ich Rolltreppen und Fahrstühle, wo es nur geht. Für die Klanginstallationen in den Fahrstühlen zu den Gleisen habe ich aber eine Ausnahme gemacht und bin eine Runde auf- und abgefahren.

Banker-Pogo

Posted in allgemein with tags , , , , , , , , on 14. September 2012 by tobikult

Wenn jemand eine Reise tut,
So kann er viel erzählen.
D’rum nahm ich meinen Stock und Hut
Und tät das Reisen wählen.
(Urians Reise um die Welt, Matthias Claudius, 1740-1815)

Seit Juli verbringe ich regelmäßig einen Teil meiner Wachzeit in Darmstadt, einem Vorort der Finanzmetropole Frankfurt. Ich bin dem Volk der Bahn-Pendler beigetreten und sammele hier ganz neue Erfahrungen.

Ganz besonders freue ich mich über das Mitmachprogramm der Deutschen Bahn. Begeistert bin ich vom Banker-Pogo!

Das geht so:
Du brauchst eine IC/EC-Strecke von irgendwo nach Frankfurt. Am frühen Morgen oder späten Nachmittag wählts Du eine Zugverbindung aus. Die auf dem Bahnsteig wartenden Banker sind ob ihrer einheitlichen Kleidung und den teuren Aktentaschen leicht als Deine Tanzpartner auszumachen. Wer zu diesem sozialen Milieu gehört, prahlt zudem gerne mit seiner „Black-Mamba“ – der BahnCard 100, 1. Klasse.
Die Anzeigetafel am Bahnsteig weist eine Wagenstandsanzeige auf. Lange wurde vermutet, das Ziel dieser Anzeige sei es, dass sich unser gepflegter Bankmensch und Tanzpartner nicht unter das gemeine Volk mischen muss und sich in seinem Biotop (in unserem Beispiel in den Abschnitten D & E) wartend zurechtfinden kann. Nach 2 Monaten Bahn-Pendelns kann ich bestätigen, dass es sich hier um eine gezielte Aufstellung zur Vorbereitung einer Tanzveranstaltung handelt.

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Damit es jetzt zu einem gepflegten Pogo-Tanz mit Bankern kommen kann, kennt die Bahn zwei Varianten: die „offene“ und die „geschlossene“ Ausgangsstellung.

Bei der „offenen“ Ausgangstellung wird Sekunden vor dem Eintreffen des Zuges über den Lautsprecher mitgeteilt, dass „die Wagen der 1. Klasse heute abweichend in den Abschnitten A und B“ zu finden seien.  Die Tänzer sind somit aufgefordert, ihr Biotop zu verlassen und die Position ans andere Ende des Bahnsteigs zu verlegen. Ohne direkte Ansprache erkennt das gemeine Volk dies als Aufforderung zum Tanz mit den Bankern und strömt den Tanzpartnern zielstrebig entgegen. Das Pogen ist unvermeidlich und zieht auch den letzten Tanzmuffel in seinen Bann.

Die „geschlossene“ Variante verzichtet gänzlich auf eine Ansage und lässt den Zug einfach so in umgekehrter Wagenreihenfolge in den Bahnhof einfahren. Hier verlagert sich der Tanz weitestgehend auf die Gänge in den Waggons und es wird noch lange und bei voller Fahrt auf dem Weg in die Finanzmetropole Deutschlands getanzt, als ob es kein Morgen gäbe.

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Schlangestehen für die „geschlossene“ Variante:

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Ich empfehle als individuelle Tanzmusik (via gut gedämmter Kopfhörer) dazu einen Klassiker der 80er Jahre: