Neulich im Stadion…
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Am Samstag haben wir uns in eine ethnologische Forschung gestürtzt, deren Ende wir noch nicht absehen können. Ausgerüstet mit schwarzen Kaputzenpullis und Doc Martens, sind wir zum Bundesligaspiel Eintracht Frankfurt vs. Bayer Leverkusen gegangen. Bereits auf der zehnminütigen Fahrt mit der S-Bahn von der Hauptwache zur Haltestelle Stadion wurden wir bestätigt, dass wir zu weiten Teilen das szenetypische Outfit der Eintracht-Fans, insbesondere der sogenannten Ultras, simuliert hatten. Es fehlte uns eigentlich nur einer der unzähligen Schals, in die Ruhmeslosungen und Hasstriaden eingewebt sind. (Der „Kniet nieder ihr Bauern, Frankfurt ist zu Gast!!!“-Schal ist bei Bankern der Kleinkreditabteilungen auch unter der Woche ein gern getragenes Accessoire.)
Da der Winter vorbei ist, konnten wir den Verkaufsständen widerstehen. Was wir im Zuge der teilnehmenden Beobachtung (Frohe Ostern, Bronislaw, Du alter Malinowski!) nicht auslassen konnten, waren Bier und Wurst. Die Meile zum Stadion ist gepflastert mit Buden, und wer von Vorglühen spricht, untertreibt schamlos – Vorbrandroden wäre vielleicht eine in der Begrifflichkeit bleibende Umschreibung des beobachteten Trinkverhaltens. Die Menge Bier, die sonst über einen gemütlichen Abend hinweg getrunken wird, wird hier in 30 Minuten im Gehen heruntergespült.
Hat man die Sicherheitskontrolle überwunden, geht ohne eine Stadion-Bezahl-Karte am Tresen gar nichts mehr. Da hat die Menschheit sich so viele Gedanken darüber gemacht, wie man es vermeiden kann, dass Menschen bei sportlichen Massenereignissen ihre Kühe, Eier, Rüben und Felle zwecks Tauschhandel daheim lassen und erfanden Geld als platzsparendes Zahlungsmittel für Bier und Bratwurst. Das Doofe an diesen Karten ist einfach, dass man ihnen nicht ansieht, wie viel Euro virtuelles Geld dort noch gespeichert sind. Es kann also sein, dass man sich nach dem Schlangestehen am Würstchenstand unverrichteter Dinge erst mal in die Schlange vor der Aufladestation einreihen darf, weil 10 Cent zu wenig auf der Karte waren.
Das sportliche Ereignis selbst war an diesem Samstag überdurchschnittlich unterhaltsam: 1 x Rote Karte, 1 x Elfmeter, 5 Tore und zahllose handfeste Fouls, die zu einer Menge gelber Karten führten. Die Spannung blieb bis zum Ende der Partie auf einem hohen Niveau, fiel der entscheidende Treffer für die Gastgeber erst in der 88. Minute. Bis zu diesem Moment erfreuten wir uns der Überdachung der Tribüne, die uns vor dem anhaltenden Regen schützte. Gegen das Bier aus den Rängen, das vor lauter Siegesfreude auf uns vergossen wurde als hätten wir in Reihe 12 persönlich den Pokal geholt, schützte uns nichts.
Wer nicht alles Bier geschmissen hatte, sondern pfleglich auf seinen Flüssigkeitshaushalt geachtet hat, muss nach so einem Spiel natürlich für siegreiche Königstiger. Die modernen Stadien halten dem Ansturm von 50.900 Besuchern auf die Toiletten stand. Dass trotzdem unzählige männliche Fans die Stadionmauern und die nähere Umgebung vollurinieren, lässt sich sozialanthropologisch nur schwer deuten. Die Reviermarkierung scheint nur vordergründig, vielmehr wirkt der gemeinsame Akt des Wand- und Schuhebenetzens mit Körperausscheidungen als ein verbindendes Element, das durch gemeinsame Wappen, Schals und Gesänge nicht ausreichend Ausdruck zu finden scheint.
Um den Heimweg interessant zu gestalten, zeigt die Ordnungsmacht den Abreisenden ihren Streichelzoo und ergänzt so stimmig das Rahmenprogramm der Bundesbahn. Es bleibt die Erkenntnis, dass die wöchentlichen Fußballevents vor allem eins sind: gesellschaftlich legitimierte Anlässe, bereits um 15:30 Uhr voll wie ein Eimer zu sein, egal in welchem Milleu man sich außerhalb der Rolle des Fußballfans bewegt. Wir werden die teilnehmende Beobachtung dieses Untersuchungsgegenstands dann fortsetzten, wenn Kaiserslautern die Eintracht Frankfurt auf dem Betzenberg willkommen heißt.