Der Bundestag hat gestern die höchste Neuverschuldung seit Bestehen der BRD beschlossen (Ich befürchte, das macht der noch häufiger). Da ploppte bei mir im Köpfchen die Frage auf, ob ich mal die Gelegenheit bekommen könnte, mit jemanden zu sprechen, der das Geld ausgegeben hat. Liebe Banker, ihr seid nicht gemeint, auch wenn ihr es echt drauf habt in dieser Sache. Ich meine dieses kollektive Geldausgeben über ein paar Jahre, das zu einer Sockelverschuldung führte, auf deren Grundlage sowieso nichts mehr zu sanieren ist. Ich bin einfach nur neugierig, wie es sich wohl angefühlt hat, in einer Zeit, als alle dachten, es gehe immer weiter bergauf, Schuldenmachen sei nur „Investitionen tätigen“ und dergleichen.
Ich bin in den frühen 70ern zur Welt und direkt aus dem Krankenhaus nach Deutschland gekommen. Meine Kindheit war geprägt von kaputten oder gerade abgebauten Spiel- und Sportplätzen und von einem überfüllten Kindergarten. In der Grundschule waren die Toiletten so durch und ekelhaft, dass es bis zur vierten Klasse als Mutprobe gehandelt wurde, in den Keller mit den strinkenden Löchern hinabzusteigen.
Die weiterführende Schule war von ausgewiesener Schönheit. Kopierte DDR-Architektur in waschbetonbeige. Insbesondere die in jedem Klassenraum aufgestellten Eimer zum Sammeln des Regenwassers hob die Bedeutung und Fürsorge für meine Generation deutlich hervor. Für uns wurde die Schulmittelfreiheit abgschafft, für 30 Mark pro Schuljahr mußten die Eltern selber unsere Schulbücher einkaufen. Die restlichen, von der Schule gestellten Bücher würden in literarischen Kreisen als Fragmente bezeichnet. Auf der ersten Seite war ein Stempel platziert, der drei Felder definierte, in denen die ausleihenden Schüler ihre Namen schreiben sollten. Ich habe während meiner gesamten Schulzeit kein Buch erhalten, in das ich meinen Namen in ein solches Feld hätte schreiben können, alle Felder waren schon voll und zumeist hatte ein anderer armer Teufel früherer Jahrgänge sich schon schüchtern unter dem Stempeldruck verewigt.
Ließ man nach der Schule den Blick durch den öffentlichen Raum schweifen, komplettierte sich der Eindruck, dass der Verfall zum Programm gehört: Der in den Stadwald integrierte Trimm-Dich-Pfad vermodert wie Turnvater Jahn selbst, die Parkbänke bedenkenlos mit Skateboards zu bespielen – Sitzen ohne Verletzungsgefahr ausgeschlossen, die Straßen löchrig und die Blumenbeete und Springbrunnen zu Wiesen rückgebaut.
Die überfüllten Hörsäle an der Uni und das üppige Jobangebot danach passten da gut zum Gesamteindruck. Von den Besonderheiten eines Arzt- oder gar Zahnarztbesuchs und der Aussicht einer der Einzahlungen entsprechenden Leistung der Altersversorgung fange ich hier jetzt besser nicht an.
Ich habe jedenfalls ganz persönlich das Gefühl, dass ich noch gar nicht die Gelegenheit bekommen habe, kollektiv über meine Verhältnisse zu leben. Ich vermisse diese Möglichkeit auch nicht, würde aber gerne erfahren, wie das war, ob es Spaß gemacht hat und ob man die letzten zehn Jahre wie einen kräftigen Kater nach der großen Party erträgt oder ob es der gelebte Postmaterialismus ist, der hier propagiert wird.
Wer der Meinung ist, er habe die fetten Jahre mitgemacht und zu einem Interview bereit ist, möge sich bitte per Kommentar bei mir melden. Danke.