Remmidemmi „gilt als vor dem oder im 20. Jahrhundert entstanden. Seine Etymologie ist nicht geklärt. Vermutlich ist es eine Weiterentwicklung der lautmalerischen Bezeichnung Rammerdammer für den Steinmetz und Pflasterarbeiter. Die weitere Entwicklung zu Remmidemmi geschah dann wahrscheinlich unter dem Einfluss des in Norddeutschland verbreiteten Verbs rementen, ramenten, ramentern für „Unruhe verbreiten, lärmen, toben“.“
Verschwörungstheorien und kollektiver Verfolgungswahn? Bisher habe ich mich nur cineastisch mit diesen sozialen Phänomenen der Deutung von Wirklichkeitskonstruktionen auseinandergesetzt.
Bei manchen Nachrichten aber kommen mir Zweifel, ob SA und Stasi wirklich aufgelöst wurden, oder ob es sich bei diesen Behörden nur um die jeweils missverstandene Marketingabteilung eines viel durchtriebeneren staatlichen Autoritätssystem handelt, die jetzt zeitgemäß die Guerilla-Strategie präferiert. Sollte dieser Gedanke nur für eine Minute plausibel bleiben, probiert es die herrschende Klasse aktuell mit aufwändigen Werbeaktivitäten. Wie ich auf so krude Ideen komme?
In der Nacharbeit zur Gewalteskalation bei Stuttgart21-Demonstrationen tauchen nun Wortmeldungen aus den Reihen der Polizei auf, die aufhorchen lassen. Viele Medien zitieren in ihrer Berichterstattung über „schwarze Einheiten“ und menschliche „scharfe Kampfhunde“ einen Beamten mit den Worten
„Ich weiß, dass wir bei brisanten Großdemos verdeckt agierende Beamte, die als taktische Provokateure, als vermummte Steinewerfer fungieren, unter die Demonstranten schleusen. Sie werfen auf Befehl Steine oder Flaschen in Richtung der Polizei, damit die dann mit der Räumung beginnen kann.“
( Artikel z.B. hier zu lesen: http://www.heise.de/tp/blogs/2/148601)
Das erinnert mich an die treuen Staatsdiener in der Hooligan-Szene und bei der NPD. Diese Beamte scheinen auch auf Kommando ein Verhalten an den Tag zu legen, der Polizeieinsätze, Verfassungsklagen und bürgerliche Gegenbewegungen auszulösen und zu rechtfertigen vermögen.
Das wirft bei mir einige Fragen auf:
Sind alle Beamten fernsteuerbar?
Gäbe es eine Anti-Castor-Bewegung ohne verdeckt agierende Beamte?
Würden wir ohne den unermütlichen Einsatz von nicht erkennbaren Beamten „gegen“ uniformierte Beamte zu einer friedlichen, aber todlangweiligen Gesellschaft verkommen?
Ist der schwarze Block pensionsberechtigt?
Gibt es Reisekosten, Erstattung von Aufwendungen und Tagesgeld für taktische Provokateure?
Sind verdeckt agiernde Beamte auch nur Live-Rollenspieler?
…und Bürgerbeteiligung erst! Da findet im Schlosspark in Stuttgart dieser Tage die alternativen Wasen statt und Alt und Jung finden sich friedlich und politisch motiviert zusammen, um gemeinsam einen Willensbildungsprozess zu feiern. Was können sich die Stadtobersten noch wünschen?
Blöderweise hat die Polizei genau in diesen Tagen vor, ihre Zossen vorzuführen und die örtlichen Wiesen zu wässern. Jedenfalls geht in Anbetracht von 300 großen Bäumen der konkrete Anlaß zur öffentlichen Vergemeinschaftung so schnell nicht aus.
Hat wirklich jemand geglaubt, dass die aufgeturtelte Trachtengruppe mit ihren Rasensprengern nur zum Spielen in den Park gekommen ist? Geschickt wurden sie doch von denen, die sich politisch legitimiert sehen, das Projekt Stuttgart 21 zu realisieren. Das ist mir allerdings nicht ganz klar:
Wer hat eigentlich den Herrn Mappus gewählt?
Wie hoch war die Wahlbeteiligung bei der letzten Landtagswahl?
Ist jede gremiengenehmigte Entscheidung unumstößlich und mit aller Gewalt durchzusetzten? Wie war das dann noch mit dem Atomausstieg?
Außerdem scheint es doch bedenklich, dass solche Entscheidungen auch bei sich ändernden Umweltbedingungen unbeirrt weitergeführt werden. Finanz- und Wirtschaftskrise? Ach, egal. Wenn schon Titanic, dann mit der Bahn und in der 1. Klasse!
Ja liebe Leser, früher war sogar die Zukunft besser. Wenn der Schloßpark erst mal ein betonierter Platz ist, kann man bestimmt auch noch ein Parkhaus draufstellen. Das wird alles schon, zu Not auch mit Pfefferspray. Wenn die eine Seite gegen Unbewaffnete mit Schlagstock und Kampfmitteln vorgeht, könnte es an der Zeit sein, von den Nachbarn zu lernen:
Wo der Deutsche nur einen Haufen Pflastersteine sieht, erkennt der Franzose sofort eine willkommene Ansammlung guter Argumente, die leicht von der Hand gehen.
Ein Argument.
Viele Argumente.
Wem das zu grobschlächtig ist, kann auch den gewaltlosen Widerstand wählen. Das dauert ein bisschen länger und tut oftmals ganz schön weh, dafür bleiben die Straßen aber intakt und die Moral geht nicht so vor die Hunde. Meine pazifistischen Freunde hoffe ich mit Gandhis Worten aufzumuntern:
Erst ignorieren sie dich.
Dann belächeln sie dich.
Dann bekämpfen sie dich.
Dann gewinnst du.
Die Oktober-Ausgabe der National Geographic befasst sich mit den in Kalifornien verbliebenen Redwood-Mammutbäumen. Diese größten Bäume der Erde wurden nicht etwa als Nationalpark und Weltnaturerbe gehegt und gepflegt, nein, sie sind zu 95% abgeholzt worden. Hauptsächlich Bauholz wurde aus diesen seltenen Lebewesen gewonnen. Die Story im NG ruft alte Erinnerungen aus meiner Studentenzeit wach.
In den 90ern, also bevor es das Internet für Jedermann gab, wurde ich auf die rücksichtslose Abholzung dieser Wälder aufmerksam und habe von meinen paar Mark etwas an Julia Butterfly Hill und ihre Mitstreiter überwiesen. Ich blieb in losem Kontakt mit den Aktivisten von Circle of Life und bekam eines Tages ein Paket aus Amerika, mehrfach vom Zoll geöffnet und mit Prüfsiegeln übersät, zugestellt. Der Inhalt war eine Videokassette mit dem Titel „Fire in the Eyes“, die ich erst kürzlich beim Ausmisten entsorgt habe (in Ermangelung eines Abspielgeräts). Gezeigt wurde auf dem Band die Verwendung von Pfefferspray durch die amerikanische Ordnungsmacht im Einsatz gegen Umweltaktivisten, die sich für den Erhalt der Redwoods einsetzten. Heute habe ich dieses Video bei youtube wiedergefunden:
Diese Bilder haben mich seinerzeit tief beeindruckt und lassen mich auch heute nicht kalt. Beide Seiten, sowohl Aktivisten als auch Polzei, zeigten sich in einer Entschlossenheit und Konsequenz, die ich nicht kannte. Unsere Demonstrationen gegen den ersten Golfkrieg oder die Castortransporte waren ehrlich aber harmlos, oder im besten Fall unter Eventgesichtspunkten bemerkenswert. In diesem Video jedoch wurde offen gezeigt, mit welchen Hilfsmitteln die Demonstranten arbeiteten, aber auch mit welcher Entschlossenheit die Polizei vorging, um die ökonomischen Interessen der Holzindustrie durchzusetzen. Meine Distanziertheit zur amerikanischen Gesellschaft wurde mehr durch dieses Video begründet als durch die dümmlichen Reaktionen auf 09/11 Jahre später.
Auch nachdem Julia Butterfly Hill vom Baum auf den Boden der weiteren Tatsachen zurückgekehrt ist, sind ihre öffentlichen Äußerungen bis heute beachtenswert und verleiten mich zum Nachdenken und Hoffen auf gute Veränderung (abgesehen von den „Hände-hoch-Spinnern“ im Vorspann):
Zuerst ignorieren sie dich, dann lachen sie über dich, dann bekämpfen sie dich, dann gewinnsst du.
Mahatma Gandhi
Bereits eine Woche vor der Bundestagswahl fiel mir am Flughafen Berlin-Tegel die massive Polizeipräsenz auf. Auch die Qualität der Aussendarstellung unserer Ordnungsmacht hatte sich geändert: offen wurden hier schusssichere Westen getragen, elegant kombiniert mit dem akzentsetzenden Sturmgewehr. Nach der Umstellung der Uniformfarben von Armee-Grün auf Putzkollonnen-Blau stützen solch ausgesuchte Accessoires das professionelle Selbstbild des Bürgers in Uniform.
Heute reise ich mit der Bahn, und kaum haben wir an Fahrt gewonnen, maschieren Polizisten paarweise durch die Gänge. Um im ICE auch ja nicht mit Staubsaugervertreten oder paranoiden Managern verwechselt zu werden, hat die bewaffnete Trachtengruppe heute Casual Friday.
Die Damen und Herren tragen Unisexoveralls in Nachtblau, polierte Springerstiefel und eine die Hüfte betonende Koppel. Die aus feinstem Rindsleder gefertigten Handschuhe schmiegen sich um den Waffenstahl und vervollständigen zusammen mit dem lässig sitzenden Barett den neuen Ausgehlook. Diesen Herbst ein absolutes Muss für jeden modebewussten Einsatzleiter und sein Team. Der Labeldruck „Polizei“ ist als kleine Wortmarke dezent über dem Herzen platziert, auf dem Rücken schulterbreit in Leuchtschrift unübersehbar.
Irgendetwas muss in meiner staatsbürgerlichen Sozialisation schief gegangen sein. Mich überkommt bei polizeilichem Auftritt in diesen Klamotten stets ein Gefühl der Unsicherheit und manchmal auch Beklemmung. Meiner persönlichen inneren Sicherheit hilft dies nicht.
Nachtrag: In Stuttgart habe ich heute sehr viel Polizei gesehen. Es wurde sogar extra ein Vergnügungspark mit Futterbuden und Fahrgeschäften errichtet, um die Truppe bei Laune zu halten. Alle gesichteten Exemplare trugen jedoch den grünen Overall.
So kennen und lieben wir unsere Schwaben: „Des Glump musch aber erschtemal uffdrage, erscht dann krigsch ebbes Neus.“