Auf der Suche nach gruftiger Präsenz in der Medien- und Kulturlandschaft gibt es mehr Sackgassen, als es auf den ersten Blick vermuten lässt. Und manchmal sind es auch Nachrichtensendungen und Werbeprospekte, die einem das Blut gefrieren lassen. Sollte das, was dort der Weltöffentlichkeit gezeigt wird, wirklich etwas mit unserer Schwarzen Szene zu tun haben?
Ich befürchte, ja.
Wer ist der EBM-Papst? Unser Ehrenvorsitzender der EBM-Senioren HaJo weiß es bestimmt:
Für die „Alles Poser außer Mutti“-Fraktion hier der Moment der Wahrheit: Joy Division gibt es noch! Die Jungs machen jetzt in Hygieneartikel und sorgen so für „besondere Momente“:
Schon früh liehen sich die Gruftis Accessoires aus der Fetisch-Szene. Nicht zum Spaß natürlich, sondern nur um ordentlich zu provozieren. Der Spielwareneinzelhandel für die Großen reagierte mit eigenen Läden für die Schwarze Szene, wie das Fachgeschäft Schwarze Palme, die kaum einen Wunsch unerfüllt lassen.
Und dann gibt es diese Momente voller Missverständnisse, die uns Gruftis so bitter aufstoßen. Eines der jüngsten Beispiele ist hier die Ruderin und Olympiateilnehmerin Nadja Drygalla. Auf den ersten Blick auffällig unauffällig „true“:
Einfach aus Bild klicken, dann kommt ihr beim Originalbild auf Sprotbild.de raus. (Liebe Abmahnanwälte, das hier ist Kunst. Und Kunst darf das.)
Provokation war schon immer ein Teil von Jugendkulturen und Szenen. Aber nirgendwo kann man sie so verdichtet beobachten wie auf dem Wave Gotik Treffen.
Die schönsten Provokationen auf dem 20. Wave Gotik Treffen:
Lieder spielen, die nur einem Zuhörer gefallen.
Zu seiner Angst vor EHEC stehen.
Dem Fotografen den Blick auf den Sonnenuntergang verstellen.
An der Beziehung festhalten, während sie schon mit dem Neuen chattet.
Jesus mit dem iPhone verführen.
Sich gegen eine Bruno-K(r)amm-Frisur entscheiden.
Bei aller Partylaune auf den Hunger in der Welt hinweisen.
Sich schnell noch was anlesen, bevor man gefragt wird.
Den Bad-Hair-Day zum Ideal erheben.
Dem demografischen Wandel etwas Positives abgewinnen.
Dazu stehen, dass man das Bügeleisen mit dem Handy verwechselt hat.
Die Sau rauslassen, nur um die Vegis zu ärgern.
Zeigen, dass Wahrheiten auch eindeutig kommuniziert werden können.
Das Mittelalter mit all seinen Angeboten erleben.
Dem Oktoberfest den Schneid abkaufen.
Und wer das Video nicht als Provokation der Schwarzen Szene versteht, dem kann ich auch nicht mehr helfen.
Beim aktuellen Gothic Friday geht es darum, eine Leidenschaft vorzustellen, die ich hege und pflege und die als Facette der Schwarzen Szene dieselbige bereichert. Das ist eine fordernde Aufgabe, geht es diesmal nicht um den Konsum schwarzer Stilmittel wie Kleidung und Wohnungsnippes oder einschlägige Musik. Hier ist das eigene produktive Etwas gefragt.
Ich könnte ja etwas über meine Freude am Restaurieren alter Möbel schreiben und darüber, dass sie am Ende alle dalabrun oder dunkler sind. Oder über das Sammeln von religöser Volkskunst. Oder das Entwerfen und Anfertigen von Buttons. Oder die Zuneigung zu Herrn Schubert, den alten Mercedes /8, der uns immer so treu und stilvoll zum WGT und aufs Amphi fährt.
Nach einigem Abwägen habe ich mich aber entschlossen, zu diesem Anlaß eine meiner größten Leidenschaften vorzustellen, die ich bekanntermaßen mit hunderten weiteren Schwarzen gemein habe: Fotografieren. Die visuellen Reize in der Szene sind ebenso mächtig wie die akkustischen, und so liegt die Suche nach dem einen, unwiederbringlich anrührenden Motiv für mich in der Szene tief verwurzelt.
Der Ursprung vonwerturteilsfrei.dewar zwischen 2008 und 2009 eine Website, welche die Fotodokumentationen der besuchten Festivals, Konzerte und wenigen thematischen Fotoprojekte zum Inhalt hatte. 2009 wich die statische Site diesem Blog, auch wenn dabei über 1000 Bilder aus dem Netz „verschwanden“.
Ich zeige Euch hier eine kleine Auswahl von Bildern, die 2008 mit Parasita und der Narrenkönigin als Rache- und Todesengel vor und gemeinsam mit Patrick hinter den Linsen entstanden sind. Diese Bilder wähle ich deshalb, weil sie für Patrick und mich den gemeinsamen Anfang markieren Fotografie ernsthaft zu betreiben. Diese Bilder sind nicht perfekt, entsprechen in weiten Teilen nicht mehr unseren heutigen Ansprüchen und Fähigkeiten (wie sind wir nur ohne die ganzen Blitze ausgekommen?), es war aber ein magischer Moment, der eine Leidenschaft auslöste, die bis heute anhält.
Zudem teile ich die Faszination von ungestellten Fotos auf den schwarzen Jahrmärkten der Eitelkeiten, die Stoffel in seinem Blog mit „unbeobachteten Momentaufnahmen” beschreibt. Da es für diese Fotos logischerweise keine schriftlichen Model Releases gibt und die generelle Einverständniserklärung zum Ablichten durch den Kauf der Festival-Eintrittskarte vielleicht juristisch genügt, mir aber nicht final reicht, hier der Hinweis auf die E-Mail-Adresse, über die ihr im Fall der Fälle Fotos, die euch zeigen und euch nicht gefallen, entfernen lassen könnt: immediat@werturteilsfrei.de . Natürlich könnt ihr euch auch über eine Anfrage einen digitalen Abzug schicken lassen, falls ihr euch auf einem Bild wiederentdeckt und es Euch gefällt.
Eine Mitmachaktion, der ich mich einfach nicht entziehen kann. Auf www.spontis.de ist unter dem Titel „Gothic Friday“ eine Initative für Blogger aus der Gothic-Szene gestartet worden, die fast schon einen ethnographischen Sonderforschungsbereich rechtfertigen würde (dann würde sie allerdings nur halb so viel Spaß machen). Außerdem ist heute blöderweise erst Dienstag (ja, ich weiß, veröffentlicht erst am Donnerstag), dabei wäre meinem Empfinden nach bereits Freitag durchaus angemessen. Ich tue dann also mal so als ob.
Die Einstiegsfrage in dieses Projekt ist die nach dem Einstieg in die Szene, oder als Frage formuliert:
Da ich ja fast schon rentenberechtigt bin, erlaube ich mir einen Blick in die Weiten meines bereits gelebten Lebens und schaue mal nach, wann es denn losging mit dem „Schwarzsein“.
Alles begann, als meine ältere Schwester die Depeche Mode LP „Black Celebration“ mit nach Hause brachte. Das war 1986 und mein Leben spielte sich überwiegend in der Schule, der Kirche und im Wald ab. Musik stand bis dahin nicht im Mittelpunkt meines Interesses. Aber diese Scheibe hat etwas gestartet, was bis heute anhält: die Begeisterung für dunkle Klänge und das damit verbundene Lebensgefühl.
Die konservativ-christliche Erziehung, die für mich ausgesucht wurde, unterband allerdings eine umfassende Exploration der entsprechenden Genre und ich suchte mir für meine kritischen Erzeuger und die kirchliche peer-group hinnehmbare Nischen. Hier rettete mir u.a. Saviour Maschine meine frühe Jugend. Dann begann ich Skateboard zu fahren und versuchte natürlich auch, entsprechend auszusehen. Meine musikalische Vorliebe für DM, The Cure, Silke Bischoff, Wolfsheim und Co ließen mich in dieser anders gelagerten Szene aber nie richtig ankommen, dabei macht die Art der Fortbewegung auf vier Plastikrollen einen Heidenspaß. Aus dieser Zeit habe ich lediglich die guten alten Airwalks als angemessenen und gothic-tauglichen Turnschuh herübergerettet.
Als ich Mitte der 90er für meinen Zivildienst mein Elternhaus und mein soziales Umfeld hinter mir ließ, begann die experimentierfreudigste Phase meiner Musikleidenschaft. Kaum ein Metalabend war in der Dorfdisko „Jump“ vor mir sicher, regelmäßig zog es mich in die Nachtschicht nach Göppingen zur Industrial-Night, nach Stuttgart ins Müsli, den Bär oder ins Universum oder wie die Schuppen alle hießen. Mit meiner damaligen Freundin erweiterten wir zeitweise den Radius bis nach Landau, um im Mesh die Mähne zu schütteln (die ich damals noch hatte). Ich erklärte ihr die Genialität von Philip Boa and the Voodooclub und sie machte mich mit Goethes Erben/Erblast, Lacrimosa und Anne Clark vertraut.
Ich oszilierte in der Wahl meiner Kleidung noch zwischen Öko und Grunge, der Anteil schwarzer Klamotten nahm jedoch sprunghaft zu und wurde nach und nach zur einzigen Farbe in meinem Kleiderschrank.
Das Studium erleichterte die Metamorphose zum 24/7-Schwarzen mit Anspruch an schlichten Schick, scheint die Dichte der Szenegänger und der inspirierenden Modelle in meinen Fachrichtungen nicht gerade gering zu sein. Der Freundeskreis hatte sich nach und nach geändert, und es fanden sich immer mehr freundliche Wesen, die einen dunkel-ästhetischen Anspruch an die wichtigen Lebensbereiche stellten.
Was ich lange unterschätzt hatte, war die glücklich machende Wirkung von Festivals. Diese Häufung von „normalen Menschen“, wie sie jedes Jahr zum Wave Gotik Treffen nach Leipzig kommen, genieße ich erst seit 2006. Seitdem ist Pfingsten aber reserviert für diese Tage, an denen ich meinen inneren schwarzen Akku auflade, um den plastikbunten Alltag ertragen zu können. Eine zusätzliche Auffrischung gönne ich mir im Sommer stets auf dem Amphi-Festival in Köln.
Die Diskobesuche sind im letzten Jahr wieder seltener geworden. Hier mal Schwarzes Schwimmbad oder Endzeitwelten, da mal Schwarzes Karlsruhe oder Superschwarzes Mannheim. Mir ist es umso wichtiger, was mir unter der Woche an meine Ohren kommt. Radio ertrage ich kaum noch, dafür pflege ich meine Playlists zu allen Lebenslagen intensiv.
Früher konnte ich nie beantworten, woran man denn merkt, dass man ein Gothic sei. Die Farbe Schwarz und die „typischen“ Musikvorlieben greifen mir zu kurz. Gothic ist für mich nur zu einem Teil Szeneleben. Vielmehr ist es ein ästhetisches Empfinden, ein Lebensstil. Egal ob bei der Wahl des Automobils, der Wohnungseinrichtung, der Literatur oder des Bildschirmschoners. Gothic hat sich überall breit gemacht in meinem Leben, und ich kann das immer noch sehr gut leiden. Meine Lieblingsfrage lautet: „Gibt’s das auch in schwarz?“.