Nur scheiße drauf zu sein genügt nicht!

Fragt sich nur, wem nicht! :mrgreen:
Die Berichterstattung über Gothics und das, was für Gothic gehalten wird, ist beizeiten eine wahre Wonne! Für das „Wir sind die Bösen“-Image braucht man sich anscheinend nicht besonders ins Zeug legen.
Prima, bleibt mehr Zeit für Kochen, Backen, Zeichnen, Fotografieren, Nähen und Stricken… und was die Schwarze Brut sonst noch gerne hinter verschlossenen Tüen und nach Sonnenuntergang treibt.

😉

Bei meiner Vergangenheitsbewältigung im Rahmen der bisherigen
Gothic-Fridays bin ich auch über die folgenden Beiträge „gestolpert“.

Da wäre zunächst die tiefschürfende Reportage des STERN aus dem Jahr 1996 über Jugendszenen.

Neben Girlies, Schickies, Punks, Skinheads, Faschos, Rockabillies, Jesus-Freaks und Computer-Kids durften die Grufties als Teil der Berichterstattung über die Jugend der 90er natürlich nicht fehlen.

Der ausführliche Beitrag über die schwarze Jugendszene ist eine Offenbarung für die interessierte Öffentlichkeit! Endlich ist es Journalisten gelungen, das Wesen der Grufties zu identifizieren und sprachlich prägnant zu fassen. So gehören Spiele aus dem Repertoire der Erwachsenenpädagogik und eine vorbildhafte Nutzung der Monatskarte den Recherchen nach ebenso zur Schwarzen Szene wie Grabhocken und EBM-Musik „voller Schwermut und Tristesse“. Da vom Sexualverhalten bei den anderen vorgestellten Jugendszenen in der STERN-Serie keine Rede ist, können sich Gothics doch freuen, zumindest ein Sexleben zu haben. Dass hingegen „Guru-Werner“ nicht viel macht, die anderen aber gar nichts (Seite 76), das ist im Ruhrpott bestimmt heute noch so.

😉

Der ganze Artikel klingt für mich so, als hätte unsere Totengräberbande die Reporter auch kurzerhand an die Leine genommen und schön plakativ an ihrer eigenen Nase rumgeführt. Gezeigt wurden vor allem die Spielarten, die möglichst viel Schockpotential hatten und ein paar dümmliche Banalitäten. Dabei kam ein Panoptikum aus Lack und Leder heraus, das nur zu gerne geglaubt wurde.

Als ich mir die Bilder nochmal genauer angeschaut und den Artikel erneut gelesen habe, ist mir aufgefallen, dass der STERN in diesem Beitrag offenbar Manuela Ruda Jahre vor ihrer mörderischen Straftat interviewt hatte.

😯

Was für eine Referenz für die Schwarze Szene!

Anscheinend ist das 5 Jahre später aber keinem mehr erinnerlich gewesen in der Redaktion. Da hätte der STERN ziemlich exklusives Bild- und O-Ton-Material für seine Berichterstattung gehabt. Aber so ist das eben, wenn, wie Kassi es treffend formulierte, „die rechte Arschbacke nicht weiß, worauf die linke sitzt“.

Der sogenannte Satansmord von Witten war 2001 ein gefundenes Fressen, um gleich mal die komplette Gothic-Szene zu verteufeln und zu stigmatisieren. WUMPSCUT, vielen Dank auch für Deinen „Black Metal“!

Frau Ruda empfiehlt heute: „Steigt aus!“ (5:24) und könnte somit in ihrem neuen Leben auch als Zugbegleiterin tätig werden.

Unser Vorzeige-Grufti-Versteher Dr. Benecke erbarmt sich und erklärt anhand des Ruda-Mordes dem RTL2-Publikum die okkulte Welt:

Die Amis jagen eh monatlich irgendeinen Typen, der bei einer Straftat schwarz gekleidet war, als Gothic-Irren durch die Medien:

Die Bücher von Voltaire kann ich übrigens nur empfehlen, ich habe beim Lesen mehrfach herrlich gelacht (viel besser als seine Versuche, zu musizieren). Da hat sich jemand etwas mehr Mühe gegeben, hinter den Kajalstift und die Samtumhänge zu schauen.

9 Antworten to “Nur scheiße drauf zu sein genügt nicht!”

  1. […] Nur scheiße drauf zu sein genügt nicht! | Werturteilsfrei Im Zuge seiner Vergangenheitsbewältigung hat sich Tobi einem Stern-Artikel gewidmet, der sich mit der Szene beschäftigt, oder es zu mindestens versucht. Dass dabei nicht gutes rausgekommen ist, beschreibt er anhand des Originalartikel auf sehr gekonnte und amüsante Weise: „Der ganze Artikel klingt für mich so, als hätte unsere Totengräberbande die Reporter auch kurzerhand an die Leine genommen und schön plakativ an ihrer eigenen Nase rumgeführt. Gezeigt wurden vor allem die Spielarten, die möglichst viel Schockpotential hatten und ein paar dümmliche Banalitäten. Dabei kam ein Panoptikum aus Lack und Leder heraus, das nur zu gerne geglaubt wurde.“ Aber gut, was haben wir vom Stern erwartet, nachdem der sich bereits mit falschen Tagebüchern als Recherchewunder etabliert hat und das Geiseldrama von Gladbeck so Medienwirksam inszeniert hat. […]

  2. […] років приймала участь в русі субкультури “готів”. < https://werturteilsfrei.wordpress.com/2011/03/24/nur-scheisse-drauf/ Jugend 1996, Jugendszene Deutschland, Teil 7, „Unsere Nächte sind bunter als eure Tage“ […]

  3. NarrenkönigsTochter Says:

    Ich war viel zu lange nicht mehr auf Deinem Blog und habe den Beitrag eben erst entdeckt. Herrlich! Ich kugle mich vor Lachen über den Boden!!!

  4. schattenzwerg Says:

    klassisch späte 90er … damals als die ursprüngliche szene immer mehr von den „cyber-ebms“ unerwandert wurde, die mehr ne mischung aus techno und gabba waren … mit neonbändchen zu ebm … was hatte ich nen hass 😀

  5. […] Nur scheiße drauf zu sein genügt nicht! | Wert­ur­teils­frei Im Zuge sei­ner Ver­gan­gen­heits­be­wäl­ti­gung hat sich Tobi einem Stern-Artikel gewid­met, der sich mit der Szene beschäf­tigt, oder es zu min­des­tens ver­sucht. Dass dabei nicht gutes raus­ge­kom­men ist, beschreibt er anhand des Ori­gi­nal­ar­ti­kel auf sehr gekonnte und amü­sante Weise: »Der ganze Arti­kel klingt für mich so, als hätte unsere Toten­grä­ber­bande die Repor­ter auch kur­zer­hand an die Leine genom­men und schön pla­ka­tiv an ihrer eige­nen Nase rum­ge­führt. Gezeigt wur­den vor allem die Spiel­ar­ten, die mög­lichst viel Scho­ck­po­ten­tial hat­ten und ein paar dümm­li­che Bana­li­tä­ten. Dabei kam ein Pan­op­ti­kum aus Lack und Leder her­aus, das nur zu gerne geglaubt wurde.« Aber gut, was haben wir vom Stern erwar­tet, nach­dem der sich bereits mit fal­schen Tage­bü­chern als Recher­che­wun­der eta­bliert hat und das Gei­sel­drama von Glad­beck so Medi­en­wirk­sam insze­niert hat. […]

  6. Erinnert frappierend an eine Leserbrief-Schlacht im Rock-Hard aus den frühen 90ern. Damals verwendete eine Frau Dahmen-Sponheimer ebendiese Klischees (Satanismus, Rückwärtsbotschaften bei „der Judas Priest Band“, Friedhofs“un“kultur und ähnliches), um eine ganze Szene zu verunglimpfen, in deisem Falle den Metal. Kann Orphi nur zustimmen. Psychopathen sind schnell gefunden und interviewt, man kennt sich halt unter seinesgleichen…

  7. Großes Kino! Hut ab! Voltaire musikalisch kritisch gegenüber zu stehen kann ich nachvollziehen. Wer soll denn bitte auch so viel spaßige gute Laune Selbstironie ertragen 🙂 Versaut einem ja die ganzen depressiven nichts-tu Suizidgedanken…

  8. Lack, Leder, Gummi, Strapse, Peitsche, Sadomaso, Domina, Stiefel ablecken – Sind die Stern-Autoren da aus Versehen auf der falschen Party gelandet? Mit Gothic hat das wohl eher weniger zu tun.

    Drogen, um sich umzubringen, Alkohol, schnelle Nummer auf dem Grabstein, Live-Aufnahmen aus Folterkammern. Amok-Shopping-Tour in London, Punks verachten, wer heiratet ist tot, Kinder als Supergau, Selbstmordgedanken, Narben an den Pulsadern, Satansismus

    Nicht nur Frau Ruda hat da wohl ganz gehörig was falsch verstanden. Wenn man Psychopathen sucht, um eine Szene vorzustellen, dann findet man sie auch. Mir wird wirklich schlecht bei dem Artikel. Auch der Beitrag „Manuela Ruda heute“ ist eine einzige Frechheit. „Oft kommen nicht nur die Täter sondern auch deren Opfer aus der schwarzen Subkultur“.

    Ich fasse es nicht!

    • Kann Deine Aufregung gut verstehen. Bei der Erstlektüre bin ich auch an die Decke gegangen. Heute kann ich nur noch herrlich darüber lachen. Wer will, kann sehen, welche Facetten unsere Szene hat, die sich von einer Jugenkultur zu einem Lebenstil gemausert hat. Das kleine bisschen Mühe der vorurteilsfreien Betrachtung muss man sich aber schon machen…
      Der Autor C. K. gilt anscheinend als einer der „kreativsten Köpfen des deutschen Journalismus“ (http://www.presseportal.de/pm/77546/1688739/g_j_corporate_editors). *hihi

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